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„Aus
die Maus“ & Co. - unsere Todesanzeigenbücher
Die
allerbesten Stücke meiner Todesanzeigensammlung sind zwischen 2009 und 2013
im Verlag Kiepenheuer & Witsch in drei Taschenbüchern veröffentlicht
worden: Aus
die Maus (2009), Wir
sind unfassbar (2010) und Ich
mach mich vom Acker (2013). Diese Titel liegen auch als E-Books und
Sonderausgaben und – teilweise – als Hörbuch vor.
Die
Trilogie ist in Zusammenarbeit mit dem Autor Dr.
Matthias Nöllke entstanden, der die Bücher
konzipiert und die Texte geschrieben hat. Das gilt auch für die folgende
Leseprobe, ein (leicht eingekürztes) Kapitel aus unserem zweiten Buch
Wir sind unfassbar.
„Die Früchte
ihres unermüdlichen Schlafens“ – Anzeigen mit kleinen Fehlern
(Leseprobe aus: Matthias Nöllke / Christian Sprang: Wir sind unfassbar, © 2010,
Kiepenheuer & Witsch – alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung,
Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung ist nicht gestattet, Verlinken
mit dieser Seite erlaubt)
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noch als sonst im Leben gilt bei Todesanzeigen der Grundsatz: Jetzt bloß
keinen Fehler machen. Denn recht besehen gibt es für ein Trauerinserat keine
zweite Chance. Steht die Sache erst einmal in der Zeitung, so kann auch eine
spätere „Richtigstellung“ oder die Publikation der korrigierten Anzeige den
Schnitzer nicht mehr rückgängig machen. Eher ist das Gegenteil zu erwarten,
der fehlerhafte „Urtext“ wird durch eine nachträgliche Klarstellung
keineswegs getilgt, sondern brennt sich umso stärker unserer Erinnerung ein.
Für die Hinterbliebenen kann der kleinste Fehler alptraumhafte Züge annehmen.
Immerhin wird das Andenken an einen geliebten Menschen beschädigt. Und das
ist nun wahrlich kein Spaß.
Das
sollten wir nicht vergessen, wenn wir uns auf den nächsten Seiten mit den
kleinen Fehlern beschäftigen, die allen Anstrengungen zum Trotz, sie
tunlichst zu vermeiden, eben doch immer wieder vorkommen. Dabei liegt der
Reiz dieser Anzeigen oftmals darin, dass sich ein neuer, überraschender Sinn
ergibt. Und daran kann man als unbefangener Leser und Sammler schon ein
gewisses Vergnügen empfinden, das nichts mit Schadenfreude zu tun hat,
sondern mit einer spielerischen Lust am Ungewöhnlichen und Widersinnigen.
So
ist auch das Motto in der Anzeige für Inge L. zu verstehen. Dass Inge L.
„entschlafen“ ist und es sich um „Früchte unermüdlichen Schaffens“ handelt,
liegt auf der Hand. Aber „unermüdliches Schlafen“ weckt doch viel eher unsere
Neugier, zumal wenn es reiche Früchte trägt. Was ist „unermüdliches
Schlafen“? Wir denken an einen Menschen, der sich nach jedem Aufwachen mit
eiserner Disziplin noch einmal auf die Seite dreht und unbeirrt weiterträumt.
Bunte, wilde Träume, hochgestimmte Phantasien, kühne Visionen, die man sich
bei wachem Bewusstsein niemals gestatten würde, die Früchte des Schlafens
eben. Und doch war es Inge L. verwehrt, diese kostbaren Früchte zu genießen.
Warum nur? Hat am Ende der Wecker doch gesiegt? Die tristen Pflichten des
Alltags? Oder gab es Überlegungen, die Früchte des Schlafens irgendwie im
Wachzustand nutzbar zu machen, um sie zu genießen? Die Antworten darauf muss
sich jeder selbst zusammenträumen, wenn er seine eigenen „Früchte des
Schlafens“ aberntet.
Auch das folgende Motto
wirft Fragen auf. Von ferne erinnert es an die Arie „Ruhe sanft, mein holdes
Leben“ von Mozart. Aber wieso heißt es jetzt „auf allen Seiten“? Diesseits
und jenseits der Schwelle des Todes? Und was soll in dieser Situation „noch
reichen“? Die Zeit, die uns hienieden noch geschenkt ist? Aber wie passt das
alles zusammen? Bevor Sie weiterlesen, sollten Sie sich an einer *eigenen
Deutung versuchen. Also, klappen Sie jetzt erst mal das Buch zu und denken
Sie nach.
Was auch immer Sie sich
ausgedacht haben, der eigentliche Grund für dieses rätselhafte Motto ist
gewiss prosaischer. Wie es sich zugetragen hat, verriet uns Leser H. aus
Bensheim: Der Auftraggeber hing an den Text für die Todesanzeige noch einen
Zettel mit Anweisungen für die Gestaltung der Kranzschleife. Auf Vorder- und
Rückseite, mithin auf „allen Seiten“, sollte „Ruhe sanft“ stehen. Wenn dann
noch Platz bliebe, sollte als letzter Gruß zusätzlich „Auf Wiedersehen“
aufgedruckt werden. Der ahnungslose Setzer hielt den Zettel für den
zugehörigen Gedenkspruch und fertigte die Anzeige, die daraufhin für einiges
Aufsehen sorgte. Herr H. ließ uns wissen, dass der Spruch später sogar in
einem Fernsehspiel auftauchte.
[…]
„…und immer an den Leser denken!“ ist die
Devise eines wöchentlichen Nachrichtenmagazins. Die Anzeige für Betty B.
scheint diesen Wahlspruch jedoch allzu sehr zu beherzigen.
In diesen Reigen gehört
auch unsere titelgebende Anzeige, in der aus einem kleinen Fehler eine tiefe Wahrheit
spricht. „Diesseits bin ich gar nicht fassbar“, lautet die Grabinschrift von
Paul Klee. Die Anzeige für Gudrun S. vermittelt die ermutigende Botschaft,
dass dies für uns alle gilt.
Erscheint der Verstorbene
auf einem Foto, regt das gleichfalls unsere Fantasie an. Wir stellen uns vor,
was das für ein Mensch gewesen sein mag. Zum Beispiel dieser Franz-Josef E.
aus dem rheinischen Hückelhoven…
Oder auch Hans S.,
gleichfalls aus Hückelhoven, dessen Konterfei uns doch seltsam vertraut
erscheint.
Mit dem Foto eines anderen
Menschen verabschiedet zu werden, ist schon eine schwer erträgliche
Vorstellung. Kaum angenehmer ist es, wenn man mit dem eigenen Antlitz in der
Anzeige eines Fremden den Leser anlächelt. Doch im Vergleich zu der
Bildverwechslung, die Zahnärztin Ina L. erdulden musste, sind die beiden Hückelhovener sogar noch glimpflich davongekommen.
Manchmal genügt nur ein
einziger vertauschter Buchstabe, um eine schöne Anzeige zu ruinieren. So
haben die Hinterbliebenen von Josefine A. das elegische Gedicht „Der Tod, das
ist die kühle Nacht“ aus dem Buch der
Lieder von Heinrich Heine ausgewählt. Doch womöglich war der Dichter in
der Anzeigenannahme nicht so populär wie der blonde Barde mit der dunklen
Brille und dem auslautenden O. Eine undeutliche Handschrift mag ein Übriges
bewirkt haben. Und so wurden die feinfühligen Verse kurzerhand dem Schöpfer rustikaleren Liedguts („Karamba-Karacho,
ein Whiskey!“) zugeschlagen, was der ganzen Anzeige eine völlig neue Tendenz
verleiht.
Einen Hörfehler vermuten
wir in der Anzeige für die Ärztin Hildegard C., die, anstatt nach
römisch-katholischem Ritus, nach einem solchen Rhythmus bestattet wurde. Das
klingt nicht nur wesentlich beschwingter, sondern lenkt unsere Aufmerksamkeit
auf ein Element, das traditionell immer ein wenig zu kurz kommt: Die
rhythmische Gestaltung der Trauerfeier.
[…]
Einen Spitzenplatz unter
den extravaganten Trauerfeierlichkeiten beansprucht der vorliegende Fall. Auf
der anderen Seite: Kann es ein überzeugenderes Bild für die Größe der
Verstorbenen geben? Für ihre innere Stärke und tragende Kraft?
Wenden wir uns dem
Berufsleben zu. Es ist gute Tradition, wenn langjährige Mitarbeiter mit einer
Anzeige geehrt werden – auch wenn ihre aktive Zeit schon ein wenig
zurückliegt. Schwierig wird es nur, wenn sie einen Namen tragen, den man sich
so schlecht merken kann. Oder wie es Leserin Jana K. formuliert hat, von der
wir diese Anzeige bekommen haben: „Ob Schmid oder Müller, ist doch eh’ eine
Soße.“
Bei größeren Firmen können
auch schon einmal die Hierarchieebenen durcheinander geraten. Dabei wüsste
man zu gern, was die Ursache für die folgende Verwechslung war: Hat die
telefonische Anzeigenannahme nicht richtig hingehört und anstelle von
„Mitarbeiter“ den doch recht anders klingenden Titel „Präsident des
Verwaltungsrats“ verstanden? Soll man das glauben? Oder lag der Fehler nicht
vielmehr bei der Firma selbst, die der Verlust ihres „verehrten Mitarbeiters“
Ernst M. so sehr schmerzte, dass man meinte, es müsste der Präsident des Verwaltungsrats
abhanden gekommen sein? Da sich die
Inserenten-Abteilung entschuldigt, scheint der Fall klar zu sein. Das ist
fast ein wenig schade. Denn eigentlich gibt es doch kein schöneres
Kompliment, als einen verdienten Mitarbeiter posthum zum Präsidenten zu
befördern. Vielleicht hat man aber auch wieder nur Herrn Meier mit Herrn
Schulze verwechselt.
Eine Verwechslung ganz
anderer Art begegnet uns in unserer letzten Anzeige, die schon auf unser
nächstes Kapitel hinführt, das dem Familienleben gewidmet ist. Im Motto für
die treusorgende Magdalene M. sind zwei altbewährte Sinnsprüche durcheinander
geraten, die vermutlich beide gepasst hätten: „Ein gutes Herz hat aufgehört
zu schlagen.“ Und: „Zwei nimmermüde Hände haben aufgehört zu schaffen.“
Allerdings entschied man sich für eine etwas unglückliche Kombination von
beiden.
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